Wenn Wissen in den Körper sinkt – und Lehren zu einem Verkörpern wird
- jovayoga1
- vor 2 Tagen
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Es gibt diesen leisen, unscheinbaren Moment im Leben einer Yogalehrerin, in dem sich etwas Grundlegendes verändert. Ein Moment, der nicht laut daherkommt, sondern sich vielmehr wie ein tiefes Ausatmen anfühlt. Ein Loslassen. Ein Ankommen.
Plötzlich begreifst du: All das Wissen, all die Tools, all die Anatomie, Philosophie, Sequencing-Prinzipien – sie leben nicht mehr nur in deinem Kopf. Sie bewegen sich in dir.
Es ist der Moment, in dem Lernen zum Verkörpern wird.
Vom „Wissen anwenden“ zum „Wissen sein“
Am Anfang jeder Ausbildung halten wir uns an Strukturen fest. Wir brauchen sie – klare Sequenzen, Hands-on-Regeln, Atemtechniken, Cueing-Formeln, Do’s & Don’ts.Und diese Struktur ist wertvoll. Sie ist das stabile Gerüst, das uns trägt und Sicherheit schenkt.
Doch irgendwann passiert etwas fast Magisches:
- Du hörst dich sprechen und merkst: Du denkst nicht mehr über jeden Satz nach.
- Deine Hände finden intuitiv den passenden Adjust.
- Du spürst die Energie im Raum, bevor sie sich zeigt.
- Du passt die Stunde an, nicht weil du „solltest“, sondern weil du „weisst“.
Dieses Wissen ist nicht länger theoretisch. Es wohnt in dir. Es bewegt dich. Es führt dich.
Und aus Technik wird Kunst. Aus Struktur wird Präsenz. Aus Unterricht wird Raumhalten.
Warum fundierte Ausbildungen dennoch unverzichtbar sind
Verkörperung entsteht nicht im luftleeren Raum.Sie entsteht aus Tiefe – aus fundiertem Lernen, aus wiederholtem Üben, aus guter Anleitung.
Eine solide Ausbildung schenkt dir:
eine sichere Basis,
anatomisches Verständnis,
theoretisches Fundament,
didaktische Klarheit,
philosophische Einbettung,
Ethik, Haltung und Bewusstsein.
Ohne diese Grundlage bleiben wir improvisierend an der Oberfläche. Mit ihr können wir uns irgendwann mutig in die Tiefe fallen lassen.
Gute Ausbildungen geben uns Werkzeuge. Erst unser persönlicher Weg macht sie zu Instrumenten.
Der Moment, in dem du setzen lässt
Es gibt eine Phase nach jeder intensiven Lernzeit, die oft unterschätzt wird: das Setzen lassen.
Dieses Integrieren ist wie in der Yin-Praxis: Nicht das Tun verändert uns am meisten, sondern das Raumgeben.
Nach einer Ausbildung – egal ob 50h, 200h oder einer spezialisierten Weiterbildung – braucht es Zeiten des Verdauens. Zeiten, in denen du nicht Neues lernst, sondern beginnst, das Gelernte zu fühlen.
Manchmal geschieht das:
in der eigenen Praxis,
im Alltag zwischen zwei Terminen,
beim Unterrichten einer ganz einfachen Stunde,
oder im stillen Moment auf der Matte.
Es ist der Moment, in dem das Gelernte beginnt, innere Wurzeln zu schlagen.
Und erst dann kann es wachsen.
Was mir geholfen hat, mich mehr und mehr auf mein Können zu verlassen
Ich habe mich oft gefragt, was in mir diesen Übergang möglich gemacht hat – vom Lernen zur Verkörperung, vom Halten zur Führung, vom Unsicher-Sein zur intuitiven Präsenz.
Hier sind die Impulse, die für mich den grössten Unterschied gemacht haben:
1. Wiederholen – aber nicht mechanisch
Ich habe Sequenzen, Hands-on, Erklärungen und Atemtechniken immer wieder geübt – aber jedes Mal in Verbindung mit meinem Körper. Nicht als Ausdruck einer Pflicht, sondern einer Beziehung.
2. Beobachten statt performen
Je mehr ich den Raum beobachtet habe – die Menschen, ihre Energie, ihre Atmung – desto klarer wurde mir, dass der Unterricht nie über mich geht.
3. Langsamkeit zulassen
In der Langsamkeit finde ich meine Mitte. Ich fühle besser, was gebraucht wird. Ich höre mehr zu. Und meine Intuition bekommt eine Stimme.
4. Eigene Praxis kultivieren
Nicht „üben, um gut zu unterrichten“, sondern üben, um zu spüren. Meine Praxis ist mein Labor, mein Rückzugsort, meine Quelle.
5. Vertrauen als Muskel begreifen
Ich habe verstanden, dass Vertrauen nicht plötzlich da ist. Es wächst – langsam, stetig, jeden Montagabend, jeden Workshop, jedes Retreat.
6. Fehler als Teil des Weges integrieren
Manchmal fühle ich mich klar, manchmal wurstig. Das ist menschlich. Und genau dort wird das Lehren authentisch.
Wenn Lehren zum Fliessen beginnt
Es ist einer der erfüllendsten Momente im Yogaunterricht: wenn du merkst, dass du nicht mehr „performst“, sondern einfach bist.
Wenn du nicht mehr beweisen musst, sondern präsent bist. Wenn du nicht mehr kontrollierst, sondern führst. Wenn du nicht mehr suchst, sondern verbindest.
Dann wird Yoga zu einer lebendigen Sprache, die du nicht nur sprichst – sondern verkörperst.
Und das ist der Moment, in dem Lehren zu einem Geschenk wird – für dich und für alle Menschen, die mit dir praktizieren.
Von Herz zu Herz,
Joëlle




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